Allgemein
Jul 17, 2010

Vegetarismus zuerst?

Dieser Post ist eine Übersetzung eines Artikels von Gary L. Francione, den er für die Frühjahrsausgabe von The Vegan, dem Magazin der Vegan Society (UK) geschrieben hat:

Vegetarismus zuerst?

Die gebräuchliche Weisheit – und warum sie falsch ist

“Veganismus mit Omnivoren zu diskutieren ist zu schwierig. Man muss mit Vegetarismus beginnen.”

Jeder Veganer hat diese Auffassung schon viele Male gehört; und in der Tat gilt es als gebräuchliche Weisheit unter denen von uns, die Tierethik ernst nehmen.

Ich würde gern anregen, dass die gebräuchliche Weisheit in diesem Falle falsch ist und dass wir jeden, einschließlich und im speziellen Omnivore, über Veganismus aufklären sollten und uns niemals dafür aussprechen, dass Vegetarismus moralisch gegenüber einem Leben als Omnivore zu bevorzugen sei.

Moralisch gesehen gibt es keinen bedeutenden Unterschied zwischen Fleisch und anderen Tierprodukten. Tiere im Milchgeschäft werden länger am Leben gehalten wie solche in der Fleischindustrie, werden aber genauso schlecht, wenn nicht schlechter, behandelt und enden im gleichen Schlachthaus. Außerdem sind die Fleischindustrie und die Milchindustrie untrennbar ineinander verflochten, so dass ohne die Milchindustrie keine Kälberindustrie existieren würde, und alle Milchkühe werden geschlachtet und konsumiert.

Ich habe oft gesagt, dass ich, wenn ich gezwungen wäre zu entscheiden, ein Steak zu essen oder Milch zu trinken, und ich diese Entscheidung nur auf Basis des entstandenden Leids machte, das Steak wählen würde. Vegetarismus eher als Veganismus zu fördern ist ähnlich – und genauso unsinnig – wie zu fördern, eher Fleisch von gescheckten Kühen zu essen als von ungescheckten.

Wenn wir diesen künstlichen Unterschied fördern ist es für jemanden, der das Fleischessen aufgeben möchte, noch schwieriger vegan zu werden, weil er keinen Grund dazu sieht. So oft ich Tierschützer habe drängen hören, dass wir Vegetarismus mehr als Veganismus fördern sollen, so oft habe ich Veganer sagen hören, das sie viele Jahre Vegetarier geblieben sind bevor sie vegan wurden, weil sie glaubten, sie seien “mitfühlend” und moralisch handelnd, und sie würden ihre moralischen Verpflichtungen abarbeiten, indem sie kein Fleisch, aber Milchprodukte essen.

Wie dürfen Fleisch nie als irgendwie moralisch unterscheidbar von Milchprodukten präsentieren. Fleisch zu essen ist aufs Äußerste moralisch falsch, und es ist genauso moralisch falsch, vielleicht sogar noch falscher, Milchprodukte zu konsumieren.

Wie können wir das Thema Veganismus ansprechen?

Tierschützer fragen mich oft: Wie können wir das Thema Veganismus bei Omnivoren ansprechen ohne dass sie uns von vornherein abblocken?

Es ist einfacher als man denkt. Im Allgemeinen ist es immer einfacher mit jemandem zu diskutieren, wenn dieser nicht den Eindruck hat, dass man ihn negativ beurteilt und wenn man sich auf die Denkprozesse der anderen Person einlässt.

Daher ist es immer zu bevorzugen, Veganismus auf nicht wertende Art und Weise zu diskutieren. Denkt daran, dass Fleisch oder Milchprodukte zu essen oder Tierprodukte wie Leder, Wolle und Seide zu benutzen für die meisten Menschen so normal ist wie Luft zu atmen oder Wasser zu trinken. Eine Person die Milchprodukte konsumiert oder Tierprodukte benutzt ist nicht notwendigerweise oder gewöhnlich das, was ein ehemaliger und unpopulärer US-Präsident einen “Übeltäter” genannt hat.

Der effektivste Weg, jemanden dazu zu bringen, Veganismus zu verstehen, ist ihm zu zeigen wie er dazu passt woran er bereits glaubt. Das kann man auf mehrere Arten erreichen. Hier ist ein aktuelles Beispiel eines Austauschs, leicht bearbeitet, den ich kürzlich in einem Live-Chat hatte:

“Stimmst du der Ansicht zu, dass es falsch ist, Tieren unnötiges Leid oder Tod anzutun?”

“Ja, natürlich.”

“Wir könnten eine interessante Diskussion über die Feinheiten von “Notwendigkeit” führen, aber würdest du zustimmen, dass es falsch ist, Tieren aus Gründen von Freude, Vergnügen oder Bequemlichkeit Leid oder den Tod zuzufügen?”

“Das ist einfach. Natürlich. Ich lehnte es ab, als aufgedeckt wurde, dass Michael Vick [amerikanischer Footballspieler] mit Hundekämpfen zu tun hatte. Ich denke es ist barbarisch, so etwas zu tun.”

“Warum?”

“Das ist offensichtlich. Es ist falsch, Tieren für unsere Unterhaltung Leid zuzufügen oder sie zu töten.

“Isst du Fleisch oder Käse oder trinkst du Milch?”

“Ja, ich esse nicht viel Rind weil ich weiß, dass es schlecht für uns ist, aber ich esse Schwein, Hühnchen und Fisch. Und ich liebe Käse und Eiscreme.”

“Was ist der Unterschied zwischen dem was du tust und dem was Michael Vick getan hat?”

“Was? Ich verstehe nicht.”

“Nun gut, Michael Vick verhängte Tieren Leid und Tod weil er die Ergebnisse genoss. Jene von uns, die Fleisch und Milchprodukte essen verhängen Tieren Leid und Tod, weil wir die Ergebnisse genießen. Wir bezahlen nur jemanden anders dafür, die Drecksarbeit zu machen.”

“Aber da ist sicherlich ein Unterschied.”

“Was ist dieser Unterschied? Man braucht keine Tierprodukte zu essen. In der Tat stimmen viele Mainstream-Mediziner zu, dass Tierprodukte für die menschliche Gesundheit schädlich sind. Und Viehzucht ist fraglos ein ökologischer Albtraum. Die beste Rechtfertigung, mehr als 56 Billionen Tieren, Fische nicht mitgezählt,  jährlich Schmerz, Leid und Tod zuzufügen ist, dass sie gut schmecken.”

“So habe ich noch nie darüber gedacht.”

Wir hatten einen weiteren folgenden Chat über die Behandlung von Kühen in der Milchproduktion. Drei Tage später hat mir die Person, die an diesem Austausch beteiligt war, geschrieben, dass sie sich entschieden hat, vegan zu werden.

Schrittweise

Ich werde oft gefragt was einer Person zu sagen ist, die der moralischen Theorie des Veganismus zustimmt, aber sagt dass sie nicht auf einmal vegan werden kann.

Erstens betone ich immer, dass es einfach ist, vegan zu werden. Ich lehne die Ansicht von vielen Tierschützern, dass Veganismus schwierig ist, sehr bewusst ab. Es ist einfach. Ich bin jetzt seit 27 Jahren ein Veganer. Als ich angefangen habe, war es schwieriger, aber auch nicht so schwierig, sogar in 1982. In 2009 ist es ein Kinderspiel. Und wenn man sich gesund ernähren und Fertiggerichte vermeiden will, ist es sogar noch einfacher.

Zweitens ermutige ich niemals jemanden dazu, Eier aus Freilandhaltung oder “glückliches Fleisch” zu essen oder Biomilch etc. Erstens werden all diese Tiere gequält. Obwohl Tiere, die angeblich in Freilandumgebung aufgezogen werden, oder deren Produkte als “bio” beworben werden, in Bedingungen aufgezogen werden, die etwas weniger brutal sind als die normale Massentierhaltung, werden sie trotzdem gequält. Ich werde diese Produkte niemals als etwas anderes darstellen als sie sind: Tricks, die dazu gedacht sind, dass sich Menschen beim Konsumieren von Nichtmenschen behaglicher fühlen.

Drittens ermutige ich diejenigen, die wirklich nicht auf einmal vegan werden wollen, dem “Vegan 1-2-3” Plan zu folgen. Dieser führt Veganismus in drei Schritten ein. Die Person wird für einen Zeitraum (einige Wochen, ein Monat) vegan beim Frühstück. Sie sieht wie einfach das ist und wie lecker und zufriedenstellend ein veganes Frühstück ist. Danach wird sie für einen Zeitraum beim Mittagessen vegan, dann beim Abendessen, und dann ist sie vegan.

Obwohl ich denke, dass der Vegan 1-2-3 Plan gegenüber dem Essen von “glücklichem” Fleisch oder Milchprodukten zu bevorzugen ist, gestehe ich niemals ein, dass es moralisch richtig ist, Tierprodukte zu essen. Ich möchte immer klarmachen, dass Veganismus die einzige Position ist, die Sinn macht wenn man die Interessen von Tieren ernst nimmt. Der anderen Person ist immer klar, dass nichts, was hinter Veganismus zurücksteht, die wichtigen beteiligten moralischen Verpflichtungen erfüllt, auch wenn sie nicht bereit ist, sofort vegan zu werden. 

Schlussfolgerung

Donald Watson, der die Vegan Society 1944 gegründet hat, und der ein gesundes, aktives Leben geführt hat bis er 2005 verstarb, behauptete, dass Milchprodukte wie Milch, Eier und Käse, genauso grausam und empfindendes Leben ausbeutend wären wie das Schlachten von Tieren für ihr Fleisch: “Die zweifellose Grausamkeit, die mit der Produktion von Milchprodukten verbunden ist, hat klargemacht, dass Lacto-Vegetarismus nur der halbe Weg zwischen Fleischessen und einer wirklich schmerzlosen, zivilisierten Ernährung ist, und wir denken daher, dass wir versuchen sollten, uns während unseres Lebens auf der Erde ausreichend zu entwickeln um den ‘ganzen Weg’ zu gehen.” Er vermied außerdem das Tragen von Leder, Wolle oder Seide und benutzte eher eine Gabel als einen Spaten bei seiner Gartenarbeit, um keine Würmer zu töten.

Lasst uns diese Ehrfurcht vor dem Leben, die Donald Watson hatte und an uns weitergegeben hat, in andere einträufeln.

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